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Wenn Fiktion Wirklichkeit wird

Das gesamte Spektrum von Gefühlen und emotionalen Spannungen zeigt die Bad Vilbeler Inszenierung des Psychothrillers »Die Therapie« – mit Svenja Wasser, Martin Bringmann und Ralph Hönicke. Foto: Eugen Sommer
Das gesamte Spektrum von Gefühlen und emotionalen Spannungen zeigt die Bad Vilbeler Inszenierung des Psychothrillers »Die Therapie« – mit Svenja Wasser, Martin Bringmann und Ralph Hönicke. Foto: Eugen Sommer

Inszenierung von Fitzeks »Therapie« beschert den Festspielen gelungenen Auftakt

Von Inge Schneider

Bad Vilbel. Der Psychothriller »Die Therapie« nach dem Roman von Sebastian Fitzek hatte in der Regie von Ulrich Cyran Premiere bei den Burgfestspielen. Das verschachtelte Bühnenbild kommt der Komplexität der Handlung zugute.

Die Bühne in der historischen Wasserburg hat trotz strahlender Ausleuchtung und halb transparenter Wände etwas Klaustrophobisches. Sie gleicht in ihrer Schlichtheit mit dem von einer dünnen Wasserschicht bedeckten Podest und einem Stahlrohrkubus als Sitzgelegenheit eher einer Gefängniszelle, einer Eremitage, einem Krankenzimmer – oder eben jener einsamen, sturmumtosten fiktiven Insel Parkum, auf welcher der einstige Star-Psychiater Dr. Viktor Larenz (Ralph Hönicke) Schutz und Abgeschiedenheit sucht, um nach vier Jahren mit dem rätselhaften Verschwinden seiner Tochter Josy abschließen zu können.

Mit einer überaus dichten, zeitlich bis zur Atemlosigkeit gestrafften Premiere des Psychothrillers »Die Therapie« nach dem Debütroman von Sebastian Fitzek haben Regisseur Ulrich Cyran und sein Ensemble im Theaterkeller der Bad Vilbeler Wasserburg ein eindrucksvolles Ausrufezeichen an den Beginn der diesjährigen Burgfestspiele gesetzt.
Die Begegnung des trauernden und ratlosen Vaters mit der rätselhaften Anna Spiegel (Svenja Wasser) wird mit traumwandlerischer Sicherheit als das inszeniert, was Fitzek vorschwebte und was der Dramaturg Marc Gruppe in seiner Theaterfassung virtuos umgesetzt hat:

Zwischen Innenwelt und Außenwelt
Das komplexe, die Zuschauer in beständiger Spannung haltende Vexierspiel zwischen Innen- und Außenwelt, Realität und Fiktion, klarem Aufklärungswillen, tiefer Verdrängung und zerstörerischem Wahnsinn. Das ineinander verschachtelte Bühnenbild (Ausstattung: Dorothea Mines) setzt diese Komplexität meisterhaft um, neben den Impressionen Einsamkeit und Isolation vermittelt die Wasseroberfläche den Eindruck lediglich trügerischer Sicherheit mit ungeahnten Abgründen und der Gefahr des Ertrinkens, zeugt das welke, raschelnde Laub, das sich um die Szenerie legt, von Schatten der unbewältigten Vergangenheit, ebenso wie die von Anna Spiegel ins Wasser verstreuten Manuskriptblätter von einer unvollendeten Geschichte.

In diesem Ambiente entspinnt sich die vom ersten Augenblick an rasante Fahrt aufnehmende Geschichte zwischen dem Psychiater und seiner angeblichen neuen Patientin, der Kinderbuchautorin Anna Spiegel. Der zunächst kühl und abweisend erscheinende Arzt, der nach dem Verschwinden der Tochter nicht mehr praktiziert, lässt sich von seinem Gegenüber quasi gegen seinen Willen in einen verwirrenden Strudel aus Halbinformationen, Hoffnungen, neuen Rätseln und Horrorszenarien hineinziehen, in dem er die wahre Geschichte um seine Tochter, ja schließlich sie selbst wiederzuerkennen glaubt – und zugleich auch mehr und mehr mit seinem eigenen Ich konfrontiert wird.

Showdown im Zeitraffer
Das gesamte Spektrum der Gefühle und emotionalen Spannungen zwischen dem ungleichen Paar wird von Ralph Hönicke und Svenja Wasser nuancenreich und mitreißend inszeniert. In zahlreichen Rollen ärztlicher Kollegen des Viktor Larenz, aber auch des Privatdetektivs Kai Strathmann sowie des Insel-Bürgermeisters Patrick Halberstaedt, agiert Martin Bringmann trennscharf und unverzichtbar für den reizvollen Plot – indem er gelegentlich als Freund, Unterstützer und Klärer, dann wieder aber als Verwirrer erscheint, der Larenz den Boden der Logik, der Zeit und des Raumes unter den Füßen wegzieht. Solange, bis Fiktion zur Wirklichkeit wird und Realität sich in Wahn auflöst, hinter dem wiederum die unfassbare Wahrheit aufscheint.

Im Abspann des Stückes, einem Showdown im Zeitraffer, mutieren die drei Protagonisten endgültig zu Erzählern, die im Stil von Zeitungsberichten nüchtern das tatsächliche Geschehen enthüllen. »Die Therapie« wird zu einer atemberaubenden Miniatur subtilen Horrors, noch gesteigert durch das sparsame, aber eindrucksvoll musikalische Konzept von Thomas Elben und die Dramaturgie von Angelika Zwack. Die in Bad Vilbel auf eine Stunde gestraffte Aufführungsdauer – die in konventionellen Inszenierungen durchaus auf nahezu das Doppelte ausgedehnt werden kann – verlangt Darstellern und Publikum gleichermaßen volle Konzentration ab, verträgt in dieser Form aber auch keine Pause. Die Zuschauer goutierten den spannenden Abend mit viel Beifall.

Weitere Vorstellungen ab dem 14. Mai. Der gesamte Spielplan der Burgfestspiele ist unter www.kultur-bad-vilbel.de zu finden.