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Wenn Fremde zur Familie werden

Natalja Doroshenko (rechts), Tochter Oksana, deren Töchter Polina (auf dem Arm) und Naina sind bei Stefan und Marika Trenkel untergekommen. Darüber freut sich auch Tochter Liv (links). Foto: Patrick Eickhoff
Natalja Doroshenko (rechts), Tochter Oksana, deren Töchter Polina (auf dem Arm) und Naina sind bei Stefan und Marika Trenkel untergekommen. Darüber freut sich auch Tochter Liv (links). Foto: Patrick Eickhoff

Familie aus der Ukraine lebt seit drei Wochen auf dem Heilsberg

Bad Vilbel. Im Haus der Familie Trenkel wohnen seit rund drei Wochen die Doroshenkos. Die vier Ukrainerinnen sind aus Odessa vor dem Krieg geflüchtet und froh, in Bad Vilbel ein neues Zuhause gefunden zu haben.

Die Temperaturen steigen. Im Garten der Familie Trenkel ist einiges los. Die zwei Familienhunde toben über die Wiese hinter dem Haus auf dem Heilsberg. Die sechsjährige Polina tobt mit. Immer wieder wirft sie den Ball quer über die Wiese. Auf einem Stuhl sitzt Schwester Naina Doroshenko. Die 23-Jährige spielt auf einer Bandura – ein Zupfinstrument aus der Ukraine. Den Tisch gedeckt haben Mutter Oksana und Großmutter Natalja Doroshenko. Die Stimmung ist positiv. »Die Lebensfreude ist zurück«, sagt Stefan Trenkel mit Blick auf das Treiben im Garten. »Das freut mich sehr.«

Google-Übersetzer hilft meistens weiter
Daran hat seine Familie einen großen Anteil. Stefan und seine Frau Marika Trenkel haben die Doroshenkos vor rund drei Wochen bei sich aufgenommen. »Sie sind aus der Ukraine geflohen. Als der Krieg begann, war für uns klar, dass wir helfen müssen. Diese Familien sind unverschuldet in diese Lage gekommen«, bedauert Marika Trenkel. »In den ersten Tagen haben wir sie in Ruhe gelassen. Sie mussten erst mal ankommen.« Doch das legte sich schnell. »Die Kommunikation läuft meistens über den Google-Übersetzer, wobei Naina auch Englisch kann und versteht.«

Die Erlebnisse in der Ukraine spielen dabei kaum eine Rolle. »Wir wissen nicht, was genau sie gesehen haben, aber wenn sie darüber mit uns sprechen wollen, werden sie das machen. Wir fragen das nicht«, sagt Marika Trenkel. Stattdessen wird viel gemeinsam unternommen. »Wir waren im Zoo oder haben auf dem Lohrberg ein Picknick mit einer befreundeten Familie gemacht, die ebenfalls Geflüchtete aufgenommen hat. Das war wirklich schön«, ergänzt Tochter Liv Trenkel.

Dabei können sich die Trenkels auch auf die Unterstützung von Freunden verlassen. »Wir haben viele Spenden bekommen – gerade auch Klamotten. Sie kamen nur mit einer kleinen Tasche hier an, hatten nur Winterschuhe. Wir waren deshalb auch erst mal gemeinsam einkaufen«. so Stefan Trenkel.

Mittlerweile findet sich bei den Trenkels ein eingespieltes Team vor. Großmutter Natalja und Mutter Oksana haben Kuchen gebacken, helfen sogar im Haushalt. »Ich sage Ihnen oft, dass sie das gar nicht brauchen. Sie wollen aber nicht nur herumsitzen.«

Das gilt auch für Naina Doroshenko. Die 23-Jährige hat neben einer kleinen Tasche ihre Bandura mitgenommen. »Es ist das ukrainische Nationalinstrument«, sagt sie stolz. Sie ist professionelle Künstlerin (siehe Info-Kasten). Wenn sie an der Bandura sitzt, dann blendet sie das Erlebte aus. Und so spielt sie an diesem Mittag ein kleines Garten-Konzert. Als sie mit dem Singen fertig ist, klatschen gleich mehrere Nachbarn mit. »Das freut mich sehr, dass meine Musik gut ankommt. Aber viel glücklicher bin ich, dass Familie Trenkel uns aufgenommen hat. Sie hat uns die Angst und Sorge genommen und uns Hoffnung auf ein normales Leben geschenkt. Das werden wir nie vergessen.« Dann wird es emotional. »Wir beten jeden Tag für unser Volk und unsere Bekannten vor Ort. Freunde von uns sind auf der Flucht beschossen worden, haben kein Wasser und kein Essen mehr. Ich bete, dass dieser Krieg bald endet.«

Sorgen um Verwandte und Freunde
Naina ist sich sicher: »Wir wissen, dass unser Land gewinnen wird und wir in der Lage sein werden zurückzukehren und neue Häuser, Kindergärten und Schulen in unserer geliebten Ukraine zu bauen.« Den Kontakt zu den Verwandten und Bekannten halten sie via WhatsApp und Videokonferenzen. »Es gibt keinen Tag, an dem wir uns keine Sorgen machen und hoffen, dass alles gut wird.«

Stefan Trenkel muss schlucken. »Es ist sehr traurig das zu hören. Umso schöner ist, zu sehen, dass sie lachen und sich wohlfühlen.« Derzeit stehen viele Behördentermine an. »Das gehört halt dazu. Aber wir haben für Polina schon einen Kindergartenplatz bekommen. Wir haben uns auch nach Fördermöglichkeiten beim Wohngeld erkundigt.« Bis es irgendwann mal so weit ist, leben die Doroshenkos aber noch bei Familie Trenkel – und alle wirken darüber sehr glücklich. Naina sagt: »Aus Fremden ist eine Familie geworden.«
Von Patrick Eickhoff
Konzert via Facebook
Naina Doroshenko hat ihren Masterabschluss im Bereich der Musik absolviert und ist professionelle Künstlerin. Deshalb hat die 23-Jährige auch ihre Bandura mitgebracht. Lieder und Videos veröffentlicht sie auf ihrem Youtube-Kanal unter: shorturl.at/ksBJ3.
Ein erstes Konzert spielt Naina am Freitag, 1. April, um 18 Uhr. Das wird live bei Facebook übertragen. Sie begleitet die Band »Foolproof«. Infos unter: shorturl.at/fgnDV
Einen Gottesdienst begleitet sie mit ihrer Bandura am Sonntag, 10. April, um 11 Uhr in der evangelischen St.-Thomas-Kirche in Frankfurt-Heddernheim. (wpa)