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Wort zum Sonntag: Dead Man Walking

„Dead man walking!“ (zu deutsch etwa: Toter Mann kommt), so lautet der Ruf eines US-amerikanischen Gefängniswärters, der einen zum Tode Verurteilten zu seiner Hinrichtungszelle führt. „Dead Man Walking“ ist auch der Titel eines Films, der im Jahr 1996 in die deutschen Kinos kam. In diesem Film geht es um eine gewisse Helen Prejean, eine Ordensschwester aus New Orleans, deren Aufgabe es ist, die Todeskandidaten seelsorgerlich zu begleiten und auf die Hinrichtung vorzubereiten.

Eines Tages wird sie von einem zum Tode verurteilten Mörder um den Versuch gebeten, eine Wiederaufnahme seines Verfahrens zu erreichen. Dieser Versuch scheitert, und der Todeskandidat wird tatsächlich hingerichtet, bekennt sich aber noch kurz vor seiner Hinrichtung zu seiner Schuld und bittet die Angehörigen um Vergebung.

Was mir besonders eindrücklich wurde, war die Darstellung der quälenden Wartezeit zwischen Urteil und Hinrichtung, das Greifen nach jedem juristischen Strohalm, um die Hinrichtung abzuwenden, das bange Hoffen im Wechsel mit Resignation und Verzweiflung. Diese emotionale Achterbahn ist es, die den Zuschauer so mitnimmt. Ich musste unweigerlich an diesen Film denken, als ich in der Vorbereitung auf die Passions- und Osterzeit den Bibeltext las, der uns erzählt, wie Jesus im Garten Gethsemane allein zu Gott betet. Denn da begegnet uns Jesus, wie noch nie zuvor: Da ist kein souveränes Beherrschen der Naturgewalten, kein selbstbewusstes Auftreten gegenüber Kritikern, keine gewitzten Antworten auf rhetorische Fallen seiner Gegner. Da ist Jesus allein – verzweifelt, betrübt, unruhig und ängstlich. Denn er weiß, was auf ihn zukommt. Die Erniedrigung in den Verhören, die Peitsche, die Folter und das langsame, qualvolle Sterben in einer der grausamsten Hinrichtungsmethoden, die damals bekannt waren. Und was für ihn noch viel schlimmer ist: Die völlige Gottverlassenheit, die er erfahren wird, weil er diesen Weg stellvertretend für alle Menschen geht und für ihre Vergehen büßt, um ihnen den Weg zu Gott frei zu machen.

Jesus hätte durchaus die Möglichkeit gehabt, zu sagen: „Ich will das nicht“, um sich von dem Weg abzuwenden. Er hätte durchaus die Möglichkeit, sogar das Recht gehabt, die Menschen ins Verderben laufen zu lassen. Aber in diesem Moment des einsamen und verzweifelten Gebet entscheidet er sich dafür, den Weg des Leids zu gehen. Warum? Aus Liebe zu den Menschen. „Niemand hat größere Liebe als der, der sein Leben für andere gibt“, so hat er es seinen Nachfolgern selbst gesagt. Wir sind Gott nicht egal, er lässt uns nicht einfach laufen, sondern er setzt alle Hebel für unser Heil in Bewegung – er gibt das Kostbarste, was er geben kann. Aus Liebe. Das, und nicht weniger als das, ist die Kernbotschaft des Evangeliums.

Eine nachdenkliche, gesegnete und frohe Passions- und Osterzeit wünscht Ihnen

Rolf Schwärzel, Pastor der Freien ev. Gemeinde Bad Vilbel