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„Beschädigtes Gemeinwesen“ – Gewerkschafter kritisiert bei Maifeier der SPD einseitiges Politikmodell

Bad Vilbel. Von Deutschland als einem „beschädigten Gemeinwesen“ sprach Volker Köhnen von der Gewerkschaft ver.di bei der Maifeier der SPD im AWO-Treff. Er begründete seine „Zustandsbeschreibung der gesellschaftlichen Realität“ mit dem Hinweis auf die immer noch hohe Arbeitslosenzahl trotz boomender Wirtschaft, die sich weiter verbreitende Kluft zwischen Reich und Arm, die vielen prekären Arbeitsverhältnisse und die eine Million Obdachlose. Auch sei es ein Armutszeugnis, dass für Kinder in Deutschland ein hohes Armutsrisiko bestehe.

Diese Themen hatte in seiner Begrüßung bereits der SPD-Vorsitzende Udo Landgrebe angesprochen. Auch die „soziale Ungerechtigkeit“ prangerte er am Beispiel der Studiengebühren an. Dieses Gebührengesetz werde die SPD bei einem Sieg bei den Landtagswahlen rückgängig machen, versprach er. Köhnen machte auch die SPD für die „chronische Unterfinanzierung des Staates“ verantwortlich. Schließlich habe die Schröder-Regierung mit ihrer Steuerpolitik Unternehmen über Maßen stark entlastet. Der Referent rechnete vor, dass immer größere Anteile der Steuereinnahmen von der Arbeitnehmerseite bestritten werden. Dieser „Marsch in den Lohnsteuerstaat“ schränke die Handlungsfähigkeit des Staates ein und habe eben ein „beschädigtes Gemeinwesen“ herausgebildet. Die Sozialsysteme könnten nur Minimalstandards garantieren, aber keineswegs mehr eine Sicherung der erreichten Lebensstandards. Verantwortlich hierfür sei das vorherrschende Politikmodell, das sich fast ausschließlich an ökonomischen Leitsätzen orientiere. Wenn aber der Leitsatz gelte, dass der Mensch der Wirtschaft dienstbar zu sein habe, dann gefährde dies die Demokratie. Der Geltungsanspruch des Staates gehe verloren.

Insofern fand er den Satz „Die Wünsche der Wirtschaft sind unantastbar“, der kürzlich bei einer Protestaktion im Bundestag verwendet wurde, als eine sehr zutreffende Kritik. Damit der Artikel 1 des Grundgesetzes „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ nicht in den Hintergrund gerate, müsse sich die Politik – und hier besonders die SPD – bekennen zu einer Renaissance der Leitwerte Freiheit, Gleichheit, Solidarität. Wobei formale Rechte auch auf einer materiellen Basis fungieren müssen, damit sie in Anspruch genommen werden können. (hah)