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Das Wort zum Sonntag: Gesungener Glaube

Die alte und demenzkranke Frau, die ich besuchte, hatte vieles vergessen, aber die alten Kirchenlieder nicht. Davon konnte sie noch viele Strophen auswendig, und auch wenn ihre Stimme brüchig war, hat sie mit Freude gesungen. Dann erzählte sie, zu welchen Gelegenheiten sie diese Lieder gesungen hatte. Die Lieder hatten sie in ihrem Leben begleitet und die meisten stammten von Paul Gerhardt wie „Lobe den Herren, alle die ihn ehren“, „Geh aus mein Herz und suche Freud“ oder „Befiehl du deine Wege“ oder „Nun ruhen alle Wälder“.

Seinen 400. Geburtstag feiert die Evangelische Kirche mit dem diesjährigen Paul-Gerhardt-Jahr. 1607 wurde er in Grävenhainichen geboren und damit hat er den Dreißigjährigen Krieg erlebt und überlebt. Bereits mit 14 Jahren war er Vollwaise. Er begann Theologie in Wittenberg zu studieren und verdiente sich seinen Lebensunterhalt als Hauslehrer. 1642 kam er nach Berlin, wo er sich mit dem Kantor Johann Crüger anfreundete, der viele seiner Lieder vertonte. Erst 1651, also mit über 40 Jahren, trat er seine erste Pfarrstelle in Mittenwalde an. Er musste nun in einem Land wirken, das in Trümmern lag. Der Krieg war gerade erst zu Ende, ganze Landstriche waren entvölkert und verwüstet. Die Überlebenden wurden von Hunger und Not geplagt. Epidemien und Seuchen rafften Tausende Menschen hin. In dieser Zeit sollte Paul Gerhardt den Menschen Trost und Hoffnung spenden. Dabei erlitt er selbst viele Schicksalsschläge. 1655 heiratete er Anne Maria Berthold, aber von ihren vier Kindern, starben drei noch im Säuglingsalter. Seine Frau starb 1668 und durch theologische Streitigkeiten mit dem Fürstenhaus verlor er seine Pfarrstelle in Berlin, wo er seit 1657 in der Nicolaikirche tätig war.

Bei all dem hat Paul Gerhardt in seinem Glauben Trost gefunden, aber vor allem hat er diesen Trost in seinen Liedern ausgedrückt. Etwa 40 seiner 139 überlieferten Lieder sind heute noch weltweit verbreitet. Einfühlsam und in verständlichen Sprachbildern greift er unsere menschlichen Gefühle auf, deutet und malt sie aus und weist Wege, um mit Leid und Kummer umzugehen. Paul Gerhardt hat viele fröhliche Lieder gedichtet, aber in fast allen wird auch unser menschliches Schicksal einfühlsam geschildert. Aber immer stellt er unser persönliches Schicksal in das große Gesamtwerk Gottes und das weitet unseren Blick. Er redet immer wieder davon, dass Gott den besten Weg für unser Leben kennt und weiß und er wirbt darum, dass wir darauf vertrauen.

Seine Sprachbilder sind immer noch verständlich, dabei aber nicht platt und er hat wunderbar ausdrücken können, worum wir uns immer wieder bemühen müssen: Was bedeutet Glaube im alltäglichen Leben?

So sind seine Lieder lebendig geblieben und am besten versteht man ihn sowieso, wenn man sich mit seinen Liedern beschäftigt – am besten singt.

Ihre Pfarrerin Ulrike Mey, Christuskirche Bad Vilbel