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Eine Tradition endet

Johannes Ernst Bieler malte vor rund 160 Jahren das Bild „Der Tanzpavillon am Selzerbrunnen“, das im Oberhessischen Museum in Gießen zu sehen ist. Hier feierten die Kärber über Jahrzehnte, nun endet diese Tradition. Repro: den
Johannes Ernst Bieler malte vor rund 160 Jahren das Bild „Der Tanzpavillon am Selzerbrunnen“, das im Oberhessischen Museum in Gießen zu sehen ist. Hier feierten die Kärber über Jahrzehnte, nun endet diese Tradition. Repro: den

Nach mehr als anderthalb Jahrhunderten hat die Gaststätte im Selzerbrunnenhof ihren Betrieb eingestellt.

Biergarten und der Schankraum im Untergeschoss sind nun erstmal verwaist.
Biergarten und der Schankraum im Untergeschoss sind nun erstmal verwaist.

Karben. Mit der Bezeichnung „Tradition“ kleiden sich viele gern. Die wenigsten aber können auf wirkliche Tradition zurückblicken. Ganz anders die Gaststätte des Selzerbrunnenhofs in Groß-Karben.

Es war der 24. April 1849, als der Pächter des Selzerbrunnens, Kaufmann Marchand aus Offenbach, die polizeiliche Konzession für den Betrieb der Gaststätte beantragte. Über die Jahrzehnte wechselten Brunnenbesitzer und Gaststättenbetreiber. Der Selzerbrunnenhof blieb „allezeit ein Mittelpunkt des geselligen und öffentlichen Lebens“. Das schrieb die „Illustrierte Zeitung“ in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts laut Carolina Bittendorf. Sie verfasste 1995 einen Überblick über die Historie des Anwesens. „Wann die Gebäude errichtet wurden, ist nicht genau nachvollziehbar, da die Akten darüber fehlen oder nie vorhanden waren.“ Immer wieder sei es bei den Feiern im Selzerbrunnenhof hoch hergegangen, berichtet Bittendorf.

1990 hatte die Stadt das Anwesen gekauft, richtete dort das Jugendkulturzentrum Jukuz ein und verpachtete die Gaststätte. In den vergangenen Jahren wechselten die Wirte häufiger. „Sie haben sich viel Mühe gegeben“, attestiert Stadtrat Otmar Stein (CDU). Nun hat die Pfungstädter Brauerei als Mieterin der Gaststätte die Notbremse gezogen. „Sie hat die Möglichkeit genutzt, den Vertrag zum 31. Dezember zu kündigen“, erläutert Stadtrat Stein. Nun steht die Stadt ohne Mieter da – und sieht die Zukunft des Anwesens auch nicht länger als Wirtschaft. „Es gibt ein Überangebot an Gaststätten“, sieht Stein als Grund für die vielen gastronomischen Fehlversuche. Der Selzerbrunnenhof sei einfach nicht günstig gelegen. „Er findet nicht mehr den Zuspruch.“ „Das ist nicht ganz so tragisch“, meint Otmar Stein. Nun könne die Fläche in die gerade laufende Neukonzeption des Jukuz integriert werden. Räume, Küche, Theke seien gut in Schuss. „Es macht Sinn, diese Infrastruktur zu nutzen.“

Die Gaststätte werde wohl nicht lange leer stehen, vermutet Bürgermeister Guido Rahn (CDU). „Es haben schon mehrere mögliche Nutzer ihr Interesse angemeldet.“ Dazu gehören der von jungen Leuten geführte Veranstaltungsverein Kulturscheune Karben (KSK) wie auch der frisch gegründete Kunstverein. Den Erstzugriff habe aber der städtische Fachdienst Jugend, erinnert Rahn.

Die Büros des Fachdienstes liegen im ersten Stock des Hauses. Neben der Gaststätte, im Erdgeschoss, befindet sich zudem der große Jugendclub-Raum. Der aber ist stark renovierungsbedürftig.

Sämtliche Räume im Haus beziehe der Fachdienst nun in die Neukonzeption fürs Jukuz ein. Noch im ersten Quartal soll die Konzeption dem Sozialausschuss des Parlaments vorgestellt werden, kündigt Rahn an.

Jugend soll feiern

Klar ist aber schon: „Was uns fehlt, ist ein Raum, wo Jugendliche auch einmal feiern können“, sagt der Bürgermeister. Auch ein offener Treffpunkt für Schüler könne Sinn machen. Möglicherweise könne das Erdgeschoss samt Gaststätten-Räumlichkeiten an verschiedenen Tagen von verschiedenen Gruppen genutzt werden. Denkbar sei auch ein Jugendcafé, sagt Rahn.

Möglich werde auch ein Künstlercafé oder eben, dass der Verein KSK an einigen Tagen in der Woche übernimmt – jeweils natürlich von den Gruppen selbst betrieben. „Die Überlegungen sind aber noch in der Rohphase.“

Sorgen davor, dass die Nutzer über die Stränge schlagen könnten, hat Guido Rahn nicht. Auch wenn das in der 165-jährigen Historie im Selzerbrunnenhof öfters geschah.

Deshalb erhielt Kaufmann Marchand anno 1849 auch die Warnung, dass die Polizei das Lokal wieder schließen werde, „wenn diese Wirthschaft zum Tummelplatz von Trunkenbolden oder die Begünstigung der Liederlichkeit und der Unsittlichkeit gemehrt werden sollte“. (den)