Veröffentlicht am

Gedenken an die Nazi-Opfer

„Führe mich heraus aus dem Kerker, damit ich deinen Namen preise.“ (Psalm 142,8)

Dieser Vers ist für den 70. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau von der Herrnhuter Brüdergemeinde ausgelost worden. In Verbindung mit dem 27. Januar 1945 klingt der 142. Psalm wie ein unerhörtes Gebet von jenem Ort beispielloser Grausamkeit. „Ich blicke nach rechts und schaue aus, doch niemand ist da, der mich beachtet. Mir ist jede Zuflucht genommen, niemand fragt nach meinem Leben.“ (Ps. 142,5)

Diese Worte geben auf eindringliche Weise die schreckliche Erfahrung von Millionen Opfern des Nationalsozialismus wieder. Vor allen anderen Opfergruppen waren es Juden, die der systematischen Vernichtung durch die Nationalsozialisten ausgesetzt waren.

70 Jahre nachdem das größte Vernichtungslager der Nazis befreit wurde, stellt sich immer wieder neu die Frage: Wie konnte ein christlich-zivilisiertes Land so etwas hervorbringen? Die Antwort auf solch eine Frage ist angesichts des Ausmaßes nicht einfach und muss vielschichtig sein. Eine Teilantwort bietet aber der 142. Psalm: „Niemand ist da, der mich beachtet. Mir ist jede Zuflucht genommen, niemand fragt nach meinem Leben.“ Wer hat auf die schleichende Entrechtung der damaligen Opfer geachtet? Wer hat ihnen Zuflucht geboten? Und wer hat nach ihrem Leben gefragt? Für Millionen von Opfern lautet die Antwort: niemand.

Die Bitte: „Führe mich heraus aus dem Kerker, damit ich deinen Namen preise.“, ist für viele unerfüllt geblieben. Statt dem Gotteslob sind heute kritische Fragen an den Glauben zu hören. Auch an den Glauben jener, die auf die Opfer nicht geachtet haben, ihnen keine Zuflucht geboten haben und nicht nach deren Leben fragten. Diese kritischen Fragen stellen nicht nur Religionskritiker, sondern die Bibel selbst: „Was nützt es, meine Geschwister, wenn jemand behauptet: „Ich glaube“, aber er hat keine entsprechenden Taten vorzuweisen? Kann der Glaube als solcher ihn retten? … Wenn er keine Taten vorzuweisen hat, ist der Glaube tot; er ist tot, weil er ohne Auswirkungen bleibt.“ (Jakobus 2,14.17) Statt länger einem toten Glauben zu frönen, gilt es Glauben neu bei Jesus zu lernen. Sein Glaube hat nicht andere zum Opfer werden lassen, sondern ihn selbst. Wer diesen Glauben sich zum Vorbild nimmt, wird auf ausgegrenzte Personen achten, Flüchtlingen Zuflucht geben und nach dem Leben der Bedrohten fragen.

Pastor Clemens Breest

Freie evangelische Gemeinde

Bad Vilbel