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So schön ist unsere Nidda! – Natur erobert sich die renaturierten Flächen in Burg-Gräfenrode zurück

Karben. „Schauen Sie da, der Graureiher!“ Thomas Adam steht im dichten Gestrüpp am Ufer der Nidda. Mit kurzen Schritten stolziert der Reiher über den Kies am Ufer gegenüber. Immer wieder dreht er seinen Kopf zur Seite, taxiert den Fremdling ganz genau. Adams Blick wendet sich von dem Vogel ab, schweift über das niedrige, an vielen Stellen abbröckelnde Ufer hinweg über die Kamillenwiesen bis zum Wäldchen am Einsiedel. „Das“, sagt Adam zufrieden, „ist viel mehr als Hochwasserschutz.“

Thomas Adam ist Leiter des Karbener Fachdienstes für Umwelt. Und damit der Vater dessen, was im Norden Karbens unweit von Burg-Gräfenrode an der Nidda geschaffen wurde: Eine Renaturierung, die massiv vor Hochwasser schützt, vor allem aber der Natur hilft. „Die Nidda soll wieder so werden, wie sie hier früher war“, erklärt Adam. „Wir geben ihr die Freiheit zurück.“ Auf einen Kilometer Länge ist der Fluss binnen anderthalb Jahren von seinem Korsett befreit worden. 36 Hektar Fläche haben Nidda und Natur zurück bekommen.

Es ist eines der umfangreichsten Renaturierungsprojekte an dem in den 1920er- bis 1960er-Jahre kanalisierten Fluss: Am Ostufer wurde die Nidda von der massiven Uferbefestigung und dem Schutzdamm befreit. Teils mehrere Lagen Wasserbausteine hievten die Bagger weg. Nun kann der Fluss „graben“, also nach Lust und Laune das Ufer unterspülen, wegtragen, anderswo wieder aufhäufen. „Eine intakte Flusslandschaft sieht jedes Jahr anders aus“, erklärt Adam.

So werden immer wieder neue Inseln entstehen und wird sich das Ufer unentwegt neu formen. Womit der Fluss längst begonnen hat. Den Kies, der die neue Fluss-Insel bildet, hat die Nidda zig Meter weiter flussaufwärts fortgespült. Im Schatten einer Buhne häuft der Fluss die Steine wieder an, berichtet Adam. „Besonders bei Hochwasser gräbt der Fluss.“

Wenn einmal eine Hochwasserwelle die Nidda herunterrollt, wird sie künftig am Einsiedel kräftig ausgebremst. Bis zu 220 000 Kubikmeter fasst das 27 Hektar große Hinterland der Flure Unterwald und Sauweide. Ein Hochwasser, wie es nur alle 100 Jahre auftritt, kann das Land fassen. Das Besondere: Wiesen und Äcker im Einsiedelgebiet laufen nicht sofort voll, sondern nacheinander, können dadurch auch eine zweite Flutwelle bremsen.

Die Kombination aus Hochwasser- und Naturschutz macht das Karbener Projekt besonders. „Die Genehmigungsbehörden haben uns bescheinigt, eine Planung mit Köpfchen gemacht zu haben“, freut sich Fachdienstleiter Adam. So können die öffentlichen Gelder gleich doppelt sinnvoll wirken. Weshalb das Land Hessen einwilligte, dass die Stadt ihren Kostenanteil durch Einbringen der Flächen trägt. Die Baukosten übernimmt das Land. Die wertvollen Ökopunkte werden der Stadt in den nächsten Jahren gutgeschrieben – sie kann sie nutzen, wenn sie Flächenverbrauch bei Baugebieten oder Straßenbau ausgleichen muss.

Wie teuer das Projekt letztlich war, darüber mag Thomas Adam noch nichts sagen – weil noch die Endabrechnung mit dem Land läuft. In den nächsten Wochen hofft Adam auch noch auf Ministerbesuch aus Wiesbaden, um das Ende des Vorhabens offiziell zu besiegeln. Dann werden die Offiziellen wie heute schon die Radfahrer auf dem Niddaradweg auf ein Gelände blicken, das sich die Natur mit großen Schritten erobert. Längst stecken die jungen Bäume eines neuen Auwaldes ihre Triebe über die Gräser hinweg. Sie stehen auf der Insel der neuen Karbener Nidda-Schleife: Hier haben die Bagger dem Fluss sein altes Bett wieder gegeben. „Wir haben dabei einen alten Grenzstein ausgegraben“, berichtet Adam. „Das hat uns gezeigt, dass wir richtig liegen.“

Eine Sperre aus Steinen, einigen der für die Renaturierung gefällten Bäume und neuem Treibgut leitet nun dreiviertel des Nidda-Wasser durch die neue Schleife. „Bei Hochwasser fließen dann dreiviertel des Wassers geradeaus“, erklärt Thomas Adam – aber nicht, ohne durch die Hindernisse kräftig aufgestaut und in die tiefer liegenden, östlichen Wiesen gedrückt zu werden. Im Norden kann das Hochwasser bis zum Weg, der zur Brücke Richtung Nieder-Wöllstadt führt, fließen. Im Süden verhindert ein neuer, 150 Meter langer Schutzdamm hinter dem Bindweidgraben, dass mögliche Fluten Richtung Okarben und Groß-Karben strömen. Im Fluss sorgen Steine als Sohlschwellen und die Buhnen dafür, dass sich die Fließgeschwindigkeit ständig ändert. Damit entstehen diverse Lebensräume für Tiere und Pflanzen. Wie Störche, Bekassinen, Kiebitze. Im Fluss, so hofft Fachmann Adam, werden sich viele alte Arten wieder ansiedeln. Zum Beispiel die Meerforelle und der Nidda-Lachs. (den)