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Von 30 Gulden und gerissenen Schmugglern

Michael Quast nimmt sein Publikum mit auf eine spannende Entdeckungsreise in die Welt von Friedrich Stoltze. Foto: Fauerbach
Michael Quast nimmt sein Publikum mit auf eine spannende Entdeckungsreise in die Welt von Friedrich Stoltze. Foto: Fauerbach

Bad Vilbel. Der Schauspieler, Regisseur, Conférencier und Theaterleiter Michael Quast erwies sich bei den Burgfestspielen am Sonntag in der Wasserburg erneut als Publikumsmagnet. Mit seinem Programm »Stoltze für alle!« präsentierte er gekonnt Gedichte und Geschichten des Frankfurter Mundartdichters und Satirikers Friedrich Stoltze (1816-1891).
Michael Quast, der 2020 mit dem Friedrich-Stoltze-Preis als »Person, die sich um die Pflege des kulturellen Erbes in Frankfurt besonders verdient gemacht hat« ausgezeichnet wurde, gelang es, die Zuschauer mit seiner Vortragskunst und für das Werk von Frankfurts zweitgrößtem Dichter zu begeistern.
Der Kosmos der kurzweiligen wie humorvollen, aber auch kritischen und satirischen Geschichten und Gedichte Stoltzes dreht sich um die unerschöpflichen Themen Familie, Nachbarschaft sowie Stadt, Land und Welt. Stoltze war Verleger, begnadeter Mundartschriftsteller und bissiger Satiriker. Als politisch Aktiver gehörte er zudem zu den herausragenden Persönlichkeiten der bürgerlichen Frankfurter Stadtgesellschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Bekannt ist er vor allem für sein Frankfurt-Gedicht: »Es is kaa Stadt uff der weite Welt, die so merr wie mei Frankfort gefällt, un es will merr net in mein Kopp enei, wie kann nor e Mensch net von Frankfort sei!« Das gehörte zwar nicht zum Programm der Matinee, dafür aber jede Menge anderer Gedichte und Geschichten, die einen bunten Mix aus Frankforderisch sowie aus politischen, kritischen und humorvollen Texten boten.
Michael Quast gelang es immer wieder, die Personen in den Geschichten und Gedichten des überzeugten Demokraten Stoltze mit Sprache, Gestik und Mimik zum Leben zu erwecken und in kleine Hörspiele zu verwandeln. Nebenbei gab es für das Festspielpublikum noch einen Schnellkurs in Frankfurter Dialekt. Quast führte seine Zuhörerinnen und Zuhörer mit »Die Geschichte der 30 Gulden« in Stoltzes Welt ein. Diese 30 Gulden lieh ein gutmütiger Bäcker zum Verdruss seiner Ehefrau an einen unzuverlässigen Schuldner. »Es is e Bäcker in der Stadt, der en gefillte Beutel hat, sei Herz is aach net eigeschrumpt, drum werrd err öftersch aagebumbt. So hat err dann aach unbesorgtaanst, dreißig Gulde aam geborgt, un glaabt’s aach, daß in verzeh Dägdes Geld err richtig widder kräg.« Die Frau fragte: »Ei, Mann, hast de dei dreißig Gulde dann? Dei dreißig Gulde? He? So redd!« Da segt der Mann: »Bis jetz noch net!« Worauf die Fraa droht: »Ich sag derr, naa! Die schwitzt de awwer net an’s Baa! Sonst hast de derr kaa ruhig Stunn, so gern ich derr dein Fridde gunn.«
Gesagt, getan und alle leiden mit dem Bäcker mit. Das bekannte Gedicht »Die Blutblas« handelt von der in Schulen praktizierten Prügelstrafe. Die Lehrer verdroschen die Schüler mit »Farrnschwänz odder Hasselstecke«. Der Frankforter Lehrer Diehl züchtigte seine »böse Buwe« wie den Schüler Mohr, »e Mexterschsoh«, der »Unfug triew err in der Klass« mit einem Farrnschwanz. Der pfiffige Schüler schützte sich vor den Schlägen mit einer auf seinem Allerwertesten befestigten, blutgefillte Schweineblas«. Als diese platzte, gab’s für den Schüler vom erschrockenen Lehrer zum Trost »drei Batze«.
Von Waren und Lebensmitteln wie Worscht und eine ganze Sau aus dem billigeren Umland ins teure Frankfurt schmuggelnde Bürger handelt eine andere Geschichte aus dem März des Jahres 1830.
Gelacht und geschmunzelt wurde auch bei anderen Gedichten und Geschichten wie der »Börsenhymne« (1872) oder »Was zum Deklarieren«, einem humorvollen Text übers »Stöffche«. Stoltze trat zeit seines Lebens für seine demokratischen Überzeugungen ein, obwohl er als Herausgeber der 1860 gegründeten Wochenzeitung »Frankfurter Latern«, einem »illustriert-satyrisch, humoristisch-lyrische, kritisch-raisonierenden, ästhetisch-annoncierenden Wochenblatt« außerhalb Frankfurts steckbrieflich, unter anderem auch in Vilbel, gesucht wurde.
Bereits 1862 geriet die Wochenzeitung wegen ihrer kritischen Haltung zur preußischen Politik und Bismarck ins Visier der preußischen Justiz. Im Deutschen Krieg wurde Frankfurt am 16. Juli 1866 von preußischen Truppen besetzt und am 3. Oktober 1866 in die neu geschaffene Provinz Hessen-Nassau eingegliedert. Die »Frankforder Latern« wurde bis 1871 verboten und Stoltze floh vorübergehend in die Schweiz.
Das Festspielpublikum belohnte Quast für seine gelungene Darbietung immer wieder mit Zwischenapplaus und begeisterten Zwischenrufen. Die stürmisch herbeigeklatschten Zugaben wurden unter anderem mit dem Gedicht »Verrzeh Döchter« gewährt. Christine Fauerbach