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Wie viele Sommer hab ich noch?

Es ist geschafft! Der Sommer ist vorbei, die Ernte eingebracht. Der Herbst kann kommen. Der Bauer, der Gärtner: sie schauen dankbar auf das, was war, und freuen sich auf die etwas ruhigeren Zeiten, die vor ihnen liegen.

Das kann doch nicht alles gewesen sein! Der Sommer meines Lebens ist vorbei. Die Ernte ist eingefahren. Die Kinder sind aus dem Haus. Das Haus ist gebaut. Beruflich ist es so wie immer. Vieles habe ich erreicht, vieles ging verloren. Viele Wünsche blieben unerfüllt.

„Wie viele Sommer habe ich noch? Was hat mein Leben bisher eingebracht?“ Bei solchen Gedanken ergreift einen die spätsommerliche Wehmut, die mit Sorge auf die vor einem liegende Zeit des Herbstes und Winters schaut. Und damit kommt dann oft die unruhige Sehnsucht daher, diese „Hoch“-Zeit des Lebens noch etwas auszudehnen. Aber letztendlich ändert auch der Gang ins Fitnessstudio und nicht selten der zum Scheidungsanwalt auch nichts am Lauf der Zeit.

Wie wäre es einmal mit einem persönlichen Erntedankfest? Ein dankbarer Blick auf das, was ist, auf das, was auf dem „Tisch meines bisherigen Lebens“ liegt? Es ist vielleicht nicht die Fülle, die ich mir gewünscht hätte, aber es hat bis zum heutigen Tag gereicht.

„Zweierlei bitte ich von dir, das wollest du mir nicht verweigern, ehe denn ich sterbe: Falschheit und Lüge lass ferne von mir sein; Armut und Reichtum gib mir nicht; lass mich aber mein Teil Speise genießen, das du mir beschieden hast“, so spricht ein kluger Mann zu Gott (Sprüche 30,7.8).

Nicht gerade eines unserer gängigsten Gebete, aber eines von großer Weisheit. Denn es wendet meinen Blick weg von dem, was ich erreicht oder nicht erreicht habe. Es richtet meinen Blick hin zu dem Gott, der mir zusagt, mich zu versorgen. Er sorgt für mich: Bis heute, in Zukunft und im Glauben an Jesus Christus bis in alle Ewigkeit. Dieser Glaube, dieses Vertrauen ist ein Geschenk, um das ich Gott bitten kann, und dass er mir nicht vorenthalten wird. Aus diesem Vertrauen wächst die Gelassenheit und die Freude im Blick auf das, was war, was ist und was kommen wird. Das Vertrauen in Gottes Fürsorge lässt mich auch die Schönheit des auf mich zukommenden Herbstes in seiner ganzen bunten Vielfalt sehen. Nicht mehr die umtriebige Geschäftigkeit muss es sein, die mein Leben prägt, sondern eine lebhafte Ruhe, die auf dem aufbaut, was die Vergangenheit gebracht hat. Ich kann die „Früchte meines Lebens“ weiterverarbeiten und haltbar machen, damit sie mir und anderen zur Nahrung dienen. So wird mein Herbst zum Segen: Für mich und für die Menschen, deren Leben gerade erst „aufsprießt“ oder für die, die unter der Hitze des Sommers nicht selten auch leiden.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein erfülltes, ganz persönliches „Erntedankfest“.

Ihr Jörg Weise,

Pastor der Landeskirchlichen Gemeinschaft Bad Vilbel-Heilsberg