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Die Bank kommt zum Kaffee – Nach der Filialschließung bietet die Sparkasse in Burg-Gräfenrode einen persönlichen Service an

Karben. Seit Ende März gibt es in Burg-Gräfenrode keine Sparkasse mehr. Ihre Bankgeschäfte können die Roggauer aber weiterhin in ihrem Heimatdorf erledigen: Sparkassen-Mitarbeiter Jürgen Hof kommt zu seinen Kunden nach Hause. Bargeld wird auf dem Kaffeetisch ausgezahlt.

Gerlinde Anna Stascheid (79) lehnt sich nach vorn und hebt die Tasse an, gießt den Kaffee aus der Thermoskanne ein. Jürgen Hof steckt seinen Kopf durch die Tür. „Guten Tag, die Damen“, grüßt er und lächelt. Die Bank ist da.

Neun Seniorinnen sitzen an den Tischen. Diese sind in U-Form gestellt. Gerlinde hat sie liebevoll eingedeckt: Weiße Tischdeckchen, Plastikblumengestecke, für jeden Platz Kaffeetasse und einen Teller. Darauf Streuseltaler und Nougathörnchen. Einmal im Monat treffen sich die Frauen aus Burg-Gräfenrode hier zum Seniorenclub. Gerlinde, seit 18 Jahren die gute Seele des Clubs, kümmert sich um alles.

„Wir sind hier zum Schwätzen und Kaffeetrinken“, erklärt Gerlinde. Seit Frühjahr aber schaut jedes Mal Jürgen Hof von der Sparkasse Oberhessen vorbei. Er war über Jahrezehnte der einzige Mitarbeiter, bis die Sparkasse Ende Februar ihre Roggauer Filiale schloss.

Nun arbeitet Hof in der Nachbarfiliale in Okarben. Doch die Burg-Gräfenröder können auf telefonische Bestellung ihre Bankgeschäfte weiterhin bei ihm in Roggau erledigen. Dann bringt er Geld und Kontoauszüge entweder nach Hause oder in den Seniorenclub. Einen Umschlag mit beidem reicht Hof gerade über die Kaffeetafel hinweg an Erika Ungar (87). Sie unterschreibt den Beleg, gibt ihn zurück. „Ach ja“, und eine Überweisung zieht sie aus der Handtasche.

Ein solcher Bringservice sei schon etwas Besonderes, räumt Ulrich Bommersheim ein, der Vertriebsdirektor der Sparkasse in Karben. Den Service versprach das Institut, als die Roggauer gegen die Schließung protestieren. „Für die jungen Leute ist es einfach“, sagt Emmi Vollmar. „Die haben ein Auto, fahren nach Karben.

Für die anderen kommt Jürgen Hof mehrfach im Monat nach Roggau. Rund 20 Kunden betreut er so. Die übrigen wechselten in die umliegenden Filialen Klein-Karben, Okarben und Ilbenstadt. „Wir haben fast keinen Kunden verloren“, ist Bommersheim erleichtert.

Dass die Schließung solchen Widerstand hervorruft, „damit haben wir nicht gerechnet“, gibt er zu. Erst im Nachhinein sei der Sparkasse klar geworden, „dass die Menschen hier damit ein Stück Heimat verlieren“. Denn die alte, kleine Filiale mit ihrem 70er-Jahre-Chic war ein Dorftreff. „Da ging es um viel mehr als Bankgeschäfte.“ Was in der Kostenkalkulation der Bank fehlte.

Nun hält die Bank ihr Wort und Jürgen Hof kommt weiterhin nach Roggau. „So etwas macht doch keine andere Kasse irgendwo in den Dörfern“, sagt Emmi Vollmar. Wie wichtig so enge Kundenbindung sei, habe gerade erst die Finanzkrise gezeigt, erinnert Hof. Nur 20 Kilometer sind es von den glitzernden Banktürmen in Frankfurt bis an die Roggauer Kaffeetafel mit Bankanschluss. Auf Weihnachten und dass es bald wieder Glühwein im Seniorenclub gibt, darauf freuen sich die Frauen. Auch wenn sie immer weniger werden. „Sieben Leute sind in einem Jahr gestorben“, erzählt Gerlinde Stascheid. Und kein Mann ist dabei. „Trauen sich wohl nicht“, sagt Renate Fechner (79), lacht, schaut umher. „Ist doch schön, ’mal unter alten Weibern zu sein.“

Die Tür öffnet sich und Ortsvorsteher Karlfred Heidelbach (CDU) setzt sich zu den Frauen. Er stand an der Spitze des Protests gegen die Sparkasse, löste öffentlichkeitswirksam sein Konto auf. Nun ist er bei der Volksbank und hat sich beruhigt. „Es ist halt nicht mehr zurückzudrehen.“ Doch stellt die Sparkasse auch den Bringservice ein, sobald Ruhe eingekehrt ist? „Nein“, erklärt Bommersheim. „Solange Jürgen Hof bei der Sparkasse ist, kommt er nach Roggau.“ Die Frauen nicken zufrieden. Dass „ihr“ Herr Hof in den Seniorenclub kommt, „ist eine gute Einrichtung“, sagt Gerlinde Stascheid. (den)